"Sag Nein zu jedem Unrecht"

Courage zeigen braucht Mut. Aber sich für andere einsetzen ist sehr wichtig, sagt Trude Simonsohn. Denn nur so läßt sich Diskriminierung bekämpfen.

Die Redakteurinnen von JOSEFine besuchten im April 2017 Trude Simonsohn in der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt, um mit ihre über Courage zu reden. Wir veröffentlichen den Artikel dazu, den die damalige Redaktion zusammen verfasst hat, zu ihrem 100. Geburtstag noch einmal.

Wir sehen es jeden Tag in den Nachrichten, auf der Strasse, im Bus: viele Menschen werden diskriminiert wegen ihrer Hautfarbe, Herkunft, Religion, ihrem Aussehen, ihrer Erkrankung oder Behinderung, wegen ihres Lebensstils und aus noch vielen anderen Gründen. Dabei sind sie alle Menschen wie Du und Ich: 100% Mensch. Aber sie befinden sich meistens in der schwächeren Position, sie können sich oft nicht wehren gegen Angriffe und Gewalt. Deshalb ist es wichtig, Courage zu zeigen. Denn wenn man nichts gegen Diskriminierung tut, werden diese Menschen ausgegrenzt, gemobbt, verprügelt, Menschen verachtend behandelt - oder es führt gar zu Kriegen.

Wir haben uns in der Anne Frank Bildungsstätte in Frankfurt mit Trude Simonsohn getroffen und mit ihr darüber gesprochen, wohin es führen kann, wenn man nichts gegen Diskriminierung unternimmt, einfach nichts sagt und Unrecht einfach zulässt.
Trude Simonsohn ist Jüdin und eine so genannte Zeitzeugin. Sie hat die Judenverfolgung der Nazis im 2. Weltkrieg, den Holocaust, überlebt, war im Ghetto von Theresienstadt und im Konzentrationslager Auschwitz. Ihre ganze Familie wurde von den Nazis ermordet, nur weil sie Juden waren. Aus ihrer Familie hat sie als einzige überlebt.



Redakteurinnen von JOSEFine im April 2017 bei Trude Simonsohn in der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt/Main (Foto: A. Grote)

Sie sagte uns: „Es ist wichtig, sofort zu jedem Unrecht Nein zu sagen“, denn die Leute, die Unrecht tun wissen ganz genau, dass sie Unrecht tun. Das braucht Mut, das muss man üben, immer wieder, denn „Courage kommt nicht vom lieben Gott“, sagt Trude Simonsohn. „Wenn man erkennt, jetzt hätte ich den Mund aufmachen müssen, dann ist das schon mal ein Fortschritt. Und wenn man sich beim ersten mal nicht traut, den Mund auf zu machen, dann klappts beim zweiten oder dritten mal. Ihr sollt Euch dabei nicht in Gefahr bringen, dass jemand auf Euch losgeht, sondern nett sagen, und nicht beschimpfen, aber Du sollst etwas sagen“.

In ihrem Buch „Noch ein Glück“ schreibt Trude Simonsohn: hätten sich bei Hitler mehr Leute getraut etwas zu sagen, wäre es auch den anderen leichter gefallen, sich gegen die Nazis zu wehren.



Grund für Diskriminierung sind häufig einfach Vorurteile und Ängste, die man gegenüber anderen Menschen und Unbekanntem hat. Trude Simonsohn gibt zu, auch Vorurteile zu haben „Jeder hat Vorurteile“, sagt sie. Aber man muss sich seinen Vorurteilen stellen und überprüfen: ist es ein Vorurteil oder wirklich berechtigte Angst? Trude erzählt uns eine Geschichte, wo sie mit einem Türken im Aufzug fährt und Angst hat, nur weil er nicht blond ist und kein Deutsch spricht. „Aber sobald man sich miteinander unterhält, ist die Angst und das Vorurteil schnell weg“, sagt Trude Simonsohn. In einer anderen Geschichte setzt sich eine Freundin von Trude Simonsohn für einen Ausländer ein, der an der Supermarktkasse beschuldigt wird, dass er sich „wie immer diese Ausländer“ vorgedrängelt habe. Ursula Ernst von der Bildungsstätte Anne Frank, die an unserem Gespräch teilnimmt, erzählt uns ein Beispiel, wo sie selbst Courage gezeigt hat, als ein Schaffner im Zug als einzige eine dunkelhäutige Frau nach ihrem Ausweis gefragt hat. „Warum, ist doch ein Mensch wie du und ich“.

Gerade Kinder waren in der Nazi-Zeit die grössten Verlierer, sagt Trude Simosohn. Für die Nazis waren jüdische Kinder unter 14 Jahren zu schwach für harte Arbeiten, daher nutzlos und wurden im Konzentrationslager Auschwitz sofort in der Gaskammer umgebracht. Sie war selbst in Auschwitz und ist überzeugt: passieren kann so ein grosses Menschenunrecht immer wieder, und passiert auch heute in vielen Ländern. Nicht unbedingt mit Juden. „Ihr müsst sehen, in wievielen Ländern Menschen umgebracht werden, nur weil sie anders sind, das ist doch furchtbar“.

Meinung der Redaktion
Diskriminierung kann zu schwerwiegenden Folgen führen, für den Einzelnen und die ganze Gesellschaft, daher sollte man immer versuchen, zu helfen. Courage ist nichts, was viel Arbeit erfordert, nur etwas Mut, doch es könnte so vielen Menschen helfen. Beispielsweise könntest auch du dich gegen Diskriminierung im Alltag einsetzen. Wenn jemand beleidigend gegenüber Ausländer spricht, wenn jemand aus Deiner Klasse ausgegrenzt wird, wenn jemand geärgert wird, weil er dick ist, kannst du etwas dagegen unternehmen, indem du „Nein" sagst. Erkläre der diskriminierenden oder rassistischen Person, dass niemand etwas für seine Herkunft kann, unterhalte Dich mit dem ausgegrenzten Klassenkameraden und stehe der gemobbten Person bei. Oder wenn in den sozialen Netzen offensichtlich Unwahrheiten verbreitet werden, wo klar ist, dass sie nur eines sollen: andere Menschen diskriminieren. Dann braucht es Dich und Deine Courage.


(aus JOSEFine
Ausgabe Juni 2017)